Manfred Ronzheimer
Interview mit dem Präsidenten der Leibniz-Gemeinschaft anlässlich des Citizen Science ThinkTank Workshops,
der am 8. Juli 2014 in Berlin stattfand.
Herr Professor Kleiner, eine Ihrer ersten Amtshandlungen als Präsident der Leibniz-Gemeinschaft war es, den Citizen Science ThinkTank Workshop mit zu eröffnen. Was verbindet die Leibniz-Gemeinschaft mit diesem Thema?
Kleiner: Als ich vom Konsortium GEWISS („BürGEr schaffen WISSen – Wissen schafft Bürger") um ein Grußwort gebeten wurde, habe ich gern zugesagt, zum einen, weil ich den wachsenden Bereich von Forschung mit Bürgerbeteiligung, Partizipation und Dialog sehr spannend und vor allem vielsprechend finde und er der Verortung der Leibniz-Forschung in der Gesellschaft und für die Gesellschaft naturgemäß nahesteht. Zum anderen ist es ganz wunderbar, dass hier und in diesem BMBF-Verbundprojekt Partner aus der Helmholtz-Gemeinschaft und der Leibniz-Gemeinschaft sowie aus weiteren Netzwerken mit den Universitäten gemeinsam am Tisch sitzen. Übergreifende Themen erfordern eben auch diesen zukunftsweisenden Ansatz, der über Organisationsformen hinausreicht.
Hatten Sie vorher bereits Berührung mit dem Thema Bürgerbeteiligung in der Forschung?
Forschung und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse, die uns alle etwas angehen, sind mir etwa im Zusammenhang mit der Ethikkommission „Sichere Energieversorgung" begegnet, deren Vorsitz ich gemeinsam mit Klaus Töpfer innehatte und die von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Frühjahr 2011 einberufen worden war. Im Mai desselben Jahres haben wir den Bericht der Ethikkommission verabschiedet, der ganz wesentlich partizipatorische Elemente vor allem in der Umsetzung integrierte. Auch unsere öffentliche Anhörung von Experten, die im Fernsehen übertragen wurde, zielte auf Mitwirkung und Beteiligung von Bürgern.
Wie bewerten Sie diese Entwicklungen? Kommt es zu einem neuen Verhältnis zwischen Bürgern und Forschern?
Und was braucht es an Strukturen, um dieses dauerhaft zu machen?
Die genannten wie auch andere Veranstaltungen in nationalen und internationalen Kontexten – „Future Earth", „Horizon 2020" – zeigen, dass Abgrenzungen und undurchlässige Strukturen aufgebrochen werden. Forschung, Gesellschaft und Politik gehen aufeinander zu, um miteinander ins Gespräch zu kommen und langfristig neue Formen der Erkenntnisgewinnung, des Priorisierens und der Veröffentlichung wissensbasierter Ergebnisse zu entwickeln.
Wesentlich für diesen Prozess sind der Ausbau von Netzwerkstrukturen mit Akteuren auch aus anderen Bereichen der Wissenschaft und Gesellschaft und über Grenzen hinweg sowie die Weiterentwicklung und Festigung bestehender Netzwerke. Für den Bereich Citizen Science sind eine gemeinsame Plattform und ein koordiniertes Vorgehen sicher äußerst nützlich.
Welche Citizen Science-Projekte gibt es bereits mit Beteiligung der Leibniz-Gemeinschaft?
Ich möchte stellvertretend für viele Aktivitäten zwei Projekte hervorheben, die bereits besonderen Reifegrad und damit auch beispielgebende Wirkung erreicht haben:
Das eine Projekt wurde im Rahmen des Projektes „Verlust der Nacht" vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) gemeinsam mit Partnern aus der Industrie entwickelt (Anm. Red.: Siehe hierzu Artikel „Weißt du wie viel Sternlein stehen?“ in der Rubrik „Projekte“). Es handelt sich um eine App für Smartphones mit dem Namen "Skyglow", mit der Sie an jedem Ort der Welt Daten über Helligkeit des Nachthimmels für die damit befasste Forschung erfassen und melden können. Nebeneffekt dieses Projektes ist, dass die Nutzer sich zugleich Kenntnisse über den Sternenhimmel aneignen können, die heutzutage oft verloren gegangen sind.
Ein zweites Projekt ist der sogenannte Mückenatlas. Was auf den ersten Blick rein akademisch anmutet, hat auf den zweiten Blick einen sehr großen Nutzen für die Gesundheitsforschung: Es lassen sich nämlich auch Aussagen ableiten über die raum-zeitliche Dynamik und den Trend der Ausbreitung von übertragbaren Infektionskrankheiten, deren Überträger die Stechmücken sind. Dazu arbeitet das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) intensiv mit Forschungseinrichtungen der Infektionsforschung wie dem Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems und dem Bernard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) in Hamburg – ebenfalls ein Leibniz-Institut – zusammen (Anm. Red.: Siehe hierzu Artikel „Fangen, Frosten, Forschen“ in der Rubrik „Projekte“).
Ist die Leibniz-Gemeinschaft in besonderer Weise geeignet, um mit „Bürgerwissenschaftlern" zu kooperieren?
In der Tat vereint die Leibniz-Gemeinschaft viele Voraussetzungen für die sogenannte „bürgerbeteiligte Forschung" in ihren Reihen. Es sind natürlich allen voran die Forschungsmuseen, die mit ihren Ausstellungen und Angeboten für alle Teile der Gesellschaft eine große Bürgernähe aufweisen und damit eine zentrale Schnittstellenfunktion zwischen Forschung und Gesellschaft einnehmen.
Zum anderen sind da die Zentralbibliotheken bei Leibniz, die Wissen sammeln, nachhaltig archivieren und für alle Nutzer leicht, schnell und kostenlos zugänglich machen. Denn irgendwo muss Wissen aufgenommen und aufbewahrt werden in einer Weise, dass alle daran teilhaben können – nicht nur Forscher und Gelehrte – oder anders ausgedrückt: auf dass wir alle auch ein bisschen Forscher und Gelehrte sein können. Dafür nutzen die Leibniz-Bibliotheken beispielsweise moderne Software-Lösungen, die den Suchenden schnell und treffsicher zum Ergebnis führen. Dies ist ein wesentlicher Garant für die Vernetzung der Akteure weltweit. Zum dritten gibt es die große thematische Breite der Leibniz-Einrichtungen – von der erkenntnistheoretischen Grundlagenforschung bis hin zur anwendungsorientierten Forschung, von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft über Gesundheitsforschung bis hin zu den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Eine wichtige Rolle können bei Citizen Science-Projekten auch die Leibniz-Bildungsforschungsinstitute spielen.
Aber besteht nicht ein Ungleichgewicht bei den Fächergruppen?
Im Augenblick ist das Thema Citizen Science noch recht stark in den Naturwissenschaften und speziell in der Biodiversitätsforschung beheimatet. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass auch die Gesundheitsforschung oder die Sozialwissenschaften viele Chancen zur Beteiligung bieten. Bis dahin muss ein klarer Rahmen geschaffen werden, der Urheberrechte in genügender Weise berücksichtigt und Standards in der Qualitätssicherung setzt.
Die Fragen stellte Manfred Ronzheimer, Wissenschaftsjournalist in Berlin.
Bild: Oliver Lang
Foto oben: Markus Wegner/www.pixelio.de